18.7.2013

lieber herr dressel,

ich muss ihnen absolut recht geben, was sie über die einstellung der eltern zum eigenen kind sagen. ich höre es heute noch in meinen ohren, als meine eltern mir vorwürfe für etwas machten, was ich als kleines kind noch gar nicht besser wissen konnte. deswegen war ich meistens noch nicht in der lage so zu handeln, wie es meine eltern wollten. es ging allein um ihren willen. was in mir vorging, wie ich die situation verstand, in alledem konnten sie sich nicht einfühlen. um für sie das brave kind zu sein, musste ich mich total anpassen. tat ich es nicht und äußerte stattdessen meine beklemmung, wurde mir das zum erneuten vorwurf gemacht. der schroffe tonfall von ihnen war für mich wie ein harter schlag ins gesicht. also tat ich brav das, was meine eltern von mir wollten.  ich wollte doch nur glücklich mit ihnen sein. wenn mir etwas ganz besonders gefiel und es ihnen aus irgendwelchen gründen nicht in den kram passte, dann war das nicht gut für mich und ich musste mich von dem, was mir so gut gefiel, notgedrungen verabschieden. verhielt ich mich auf die gleiche weise gegenüber anderen kindern, war ich plötzlich der bösewicht. ich verstand die welt nicht mehr.

 

danach strengte ich mich an, alles großartig zu machen, damit sie stolz auf mich sein konnten und ich endlich die bestätigung ihrer liebe bekam. aber ihre liebe zu mir war keine meinetwegen, sie galt meiner erstklassigen leistung, die viel anstrengung kostete. sie belohnten mich wegen dieser leistung. ich mochte das natürlich, es waren schließlich meine eltern. ich wollte ihren stolz auf mich, denn er bedeutete für mich liebe. er bedeutete mir so viel.

 

später bekam ich die üblichen zipperleins. das war für mich völlig normal.

 

glücklicherweise kam ich in berührung mit fühlenden menschen wie ihnen beispielsweise. mir erging es so ähnlich wie ihnen, als sie als einundzwanzigjähriger mit alice miller in berührung kamen. ich kann mich endlich von den falschen belehrungen verabschieden, ich kann die verlogenheit klar sehen. die verlogenheit erklärt das unrecht zum recht. die herkömmlichen erklärungen über kampf und anpassung sind doch nichts anderes als der verschlüsselte ausdruck des eigenen leidens in der kindheit. jeder wurschtelt sich im leben durch und meint, das müsse so sein, man müsse alles für sich allein auf die reihe bringen. ich weiß aber seit langem, dass es gemeinsam viel besser geht. wenn ich davon anderen menschen erzähle, pflichten mir alle bei. aber sobald sie wieder alleine sind, dann gilt wieder das prinzip, alles für sich allein auf die reihe bringen zu müssen. wir menschen sind doch eigentlich so wunderbare geschöpfe, die aufgrund ihrer gefühle und emotionen ein glückliches leben miteinander führen könnten. stattdessen sehe ich nur gehetzte menschen, die die erwartungen glänzend erfüllen wollen, damit sie erfolg haben. der erfolg der anderen scheint ihnen dabei gleichgültig zu sein. wenn ich die uns regierenden sehe, dann sind sie für mich das grauenvolle abbild der falschen lehren unserer eltern. lieber herr dressel, sie wollen doch auch glücklich sein, oder? warum treffen wir uns dann nicht, um damit anzufangen?

herzlichen gruß

L.A.

MD: Sie scheinen den klaren Blick für die alltäglichen Geschehnisse erlangt zu haben. Vor allem für die alltäglichen Geschehnisse, denen Kinder durch die eigenen gefühlserfrorenen Eltern ausgesetzt sind. Die Kinder müssen die Geschehnisse gezwungenermaßen als richtig auffassen, obwohl sie das nachweislich nicht sind. Leider ist das der Ursprung für alle menschlichen Abgründe. Die Kinder können sich nicht einfach bessere Eltern aussuchen, sondern müssen sich deren Diktat bis zur Selbstaufgabe anpassen. So erging es Ihnen, so ergeht es fast allen Menschen. Ich habe jedenfalls noch nie einen Menschen kennengelernt, dem es nicht so ergangen wäre. Doch das Gute war ursprünglich in uns, da gebe ich ihnen völlig recht. Natürlich wollen wir alle glücklich sein. Ich natürlich auch. Dieser Wunsch liegt in unserer Natur. Darum kann ich Ihr Angebot nicht ablehnen. Ob wir uns „riechen“ können, falls wir uns treffen, wird sich dann zeigen. Ich beglückwünsche Sie zu Ihren einfühlsamen Erkenntnissen.

 

21.7.2013

Sehr geehrter Herr Dressel,

in welcher Welt leben Sie eigentlich? Sie sind der geborene Pessimist. Ist die Welt wirklich so schlecht, wie Sie sie beschreiben? Ich hatte jedenfalls eine glückliche Kindheit. Meine Eltern waren sehr liebevolle Menschen. Ich bin mit Menschen zusammen, die mir gut tun. Wen soll das interessieren, was Sie schreiben? Woher wollen Sie wissen, dass alle Menschen als Kind schlechte Erfahrungen gemacht haben? Konzentrieren Sie sich auf das Gute und das Gute wird auch bei Ihnen Einlass finden.

Mit freundlichen Grüßen

G.M.

MD: Sie haben offenbar nicht nur Ihre Gefühle zubetoniert, sondern Sie können auch nicht die Fakten erkennen. Wenn es wahr wäre, dass Sie eine glückliche Kindheit hatten, dann müsste es ein Leichtes für Sie sein, sich in die Schicksale anderer Menschen einzufühlen. Aber dazu sind Sie nicht fähig. Sie haben sich stattdessen in ihrer „schönen“ Scheinwelt abgekapselt und meinen ernsthaft, alle Menschen würden in dieser Scheinwelt leben. Darum frage ich Sie, in welcher Welt leben Sie? Bekommen Sie gar nichts von dem  mit, was um sie herum passiert und was mit Ihnen selbst passiert ist? Wenn Sie wirklich eine glückliche Kindheit gehabt hätten, dann wären Sie auf ganz andere Erkenntnisse gekommen. Es wäre dann fűr Sie ganz selbstverständlich, sich für benachteiligte Menschen einzusetzen, die nicht das gleiche Glück hatten wie Sie. Sie würden dann ausdrücklich mein Engagement begrüßen. Aber genau das tun Sie nicht. Sie behaupten, wir alle würden glückliche Menschen sein. Wäre das wirklich der Fall, hätten Sie mir nicht diese niederschmetternden Vorwürfe machen können.

 

Natürlich wünsche ich mir, dass alle Menschen eines Tages glücklich sein mögen. Doch die glücklichen Menschen würden anders auf ihre Mitmenschen zugehen, als Sie es tun. Sie wären voller Mitgefühl. Für sie wäre nicht nur ihr eigenes Schicksal bedeutungsvoll. Sie dagegen sehen nur sich selbst und sind deswegen bloß ein Abbild des verlogenen Schauspiels ihrer Eltern. Lesen Sie meine Artikel Die Befreiung von dem, was uns das Leben vermiest, Das ewige Missverständnis, Wenn die Starken auf Kosten der Schwachen leben. Drücken diese Artikel wirklich Pessimismus aus? Falls Sie danach weiterhin in ihrer verlogenen Scheinwelt leben wollen, kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht weiterhelfen.

 

30.7.2013
Lieber Herr Dressel,
ich habe schon einige Artikel von Ihnen gelesen. Sie beschreiben sehr genau die Ursachen für die menschlichen Probleme. Sie machen das auch mit einer sehr verständlichen Sprache. Ich habe den Eindruck, Sie vermeiden absichtlich die psychologischen Fachwörter. Das finde ich gut. Trotzdem habe ich eine Frage an Sie. Wie entsteht eigentlich die Selbstbezogenheit, von der sie dauernd schreiben? Sie ist ja der entscheidende Faktor für die menschlichen Probleme.
Herzliche Grüße
B.K.

MD: Sie haben völlig Recht mit Ihrer Frage. Ich will demnächst darüber ausführlicher schreiben. Sie scheinen in der Tat meine Artikel aufmerksam gelesen zu haben, sonst wären Sie nämlich niemals auf diese Frage gekommen.

 

Die Erklärung dafür ist eigentlich einfach, hat aber in der Vergangenheit unter Fachleuten für sehr viel Verwirrung gesorgt. Vielleicht kennen Sie die psychoanalytische Behauptung, das Kleinkind sei „infantil narzisstisch“. Diese Behauptung besagt, dass es nur auf sich selbst bezogen und zu keinerlei Einfühlung in das „primäre Objekt“ (Mutter) fähig sei. Das könnte man vielleicht so sehen, wendete man dieselben Maßstäbe für Erwachsene auf ein Kleinkind an.

 

Das würde allerdings den Mangel an Einfühlungsvermögen der Erwachsenen gegenüber dem Kleinkind belegen, da diese seine Bedürfnisse nicht richtig wahrnehmen und deswegen die Eltern-Kind-Beziehung völlig falsch einordnen. Aus psychoanalytischer Sicht werden bezeichnenderweise die kleinkindlichen Bedürfnisse als „narzisstisch“ bezeichnet. Jedoch beinhaltet eine derartige  Klassifizierung, die ausschließlich die Sicht der Eltern einnimmt, eine enorme Wahrnehmungsstörung, weil die Bedürfnisse eines Kleinkindes und die eines Erwachsenen unbewusst miteinander vermischt werden.

 

Für einfühlungsfähige Erwachsene müssten die unterschiedlichen Bedürfnisse des Kleinkindes ganz selbstverständlich sein, weil dessen Leben gerade erst begonnen hat. Natürlich hat das Kleinkind Einfühlungsvermögen. Erst dann kann eine enge Mutter-Kind-Beziehung entstehen. Natürlich muss dafür umgekehrt das Einfühlungsvermögen der Mutter auch vorhanden sein. Da jedoch die meisten Menschen aufgrund der desaströsen Kindheitserfahrungen in ihrer Bedürftigkeit auf der Stufe eines Kleinkindes stehen bleiben, übertragen sie absurderweise die daraus entstehende Selbstbezogenheit beim Erwachsenen auf das Kleinkind.

 

Hierbei darf man Ursache und Wirkung nicht miteinander verwechseln. Die Eltern sind ihrem Kind die Erfüllung seiner Bedürfnisse schuldig geblieben. Zudem haben sie dessen Gefühle der Frustration" ignoriert. Darum kann das nunmehr erwachsen gewordene Kind hauptsächlich nur seine eigenen Bedürfnisse aus der Kindheit sehen, weil es immer noch damit beschäftigt ist, diese irgendwann von seinen Eltern erfüllt zu bekommen. Im Falle des Erwachsenen ist somit die Selbstbezogenheit evident, im Falle des abhängigen Kleinkindes dagegen geht es um Leben und Tod, wenn es um die Erfüllung seiner natürlichen Bedürfnisse geht. Darum geht es bei ihm niemals um Selbstbezogenheit, sondern stets um das naturgegebene Urvertrauen, dass alles richtig für ein unbeschwertes Leben abläuft.

 

Liebevolle Eltern erfüllen die Bedürfnisse ihres Kleinkindes freudvoll und anstrengungslos. Und genau hier liegt die Weichenstellung für den zukünftigen Lebensweg eines jeden Menschen.