Wenn die Starken auf Kosten der Schwachen leben

Die Fakten

 

Mit den Starken, die auf Kosten der Schwachen leben, meine ich Menschen, die völlig selbstbezogen nur an ihren eigenen Vorteil denken und deshalb im höchsten Maß asozial sind. Sie sind aber nicht nur im höchsten Maß asozial, sondern sie stellen zugleich eine große Gefahr für ihre Mitmenschen dar. Die jüngsten grauenvollen Vorkommnisse, bei denen tausende Arbeiter im fernen Osten ums Leben kamen, sind Belege dafür. Aber auch die unzähligen Erkrankten und die viel zu früh Verstorbenen sind Belege dafür. Wenn nach solchen grauenvollen Vorkommnissen die Starken ihre üblichen Heucheleien von sich geben, dann kann einem das Blut in den Adern gefrieren. Sie stellen ihre Kaltherzigkeit mit aller Selbstverständlichkeit öffentlich zur Schau. Selbst das öffentlich-rechtliche Fernsehen bietet ihnen ein Forum dafür. In Talkrunden schieben die Starken regelmäßig den Politikern die Schuld für die gesellschaftlichen Missstände zu, als ob sie deren Marionetten wären. Das Gegenteil ist der Fall, wie die unzähligen Lobbyisten aus der Wirtschaft beweisen. Die Starken wollen sich aus der Verantwortung stehlen und sogar den Begriff Reichtum definiert wissen, als ob sie darüber keinerlei Vorstellung hätten. Bereitwillig lassen sich die benebelten Moderatoren der Talkrunden auf das verlogene Schauspiel ein. 

 

Die Starken sagen ganz offen, es laufe gut für sie und es solle weiterhin so bleiben. Ob es für die Anderen genauso gut läuft, ist ihnen völlig egal. Es läuft nämlich gar nicht gut für die Anderen. Unfassbarerweise vermehren diese sogar bereitwillig das Einkommen der Starken. Über eine Million Menschen in Deutschland erhalten zusätzliches Geld aus Steuermitteln des Staates, sonst könnten sie von ihrer Arbeit nicht leben. Auf diese Weise unterstützt der Staat die asozialen Starken, die die Unterstützung überhaupt nicht bräuchten. Deren Gier kennt offenbar keine Grenzen. Für die großzügige staatliche Unterstützung müssen sie noch nicht einmal umfangreiche Selbstauskunft leisten wie beispielsweise Sozialhilfeempfänger.

 

In den Politmagazinen Monitor, Panorama, frontal21 usw. wird darüber ständig berichtet. Warum beschneiden die verantwortlichen Intendanten die Sendezeiten ausgerechnet dieser sehr informativen Politmagazine? Und warum lassen sich die Redakteure das gefallen?

 

Die Starken sitzen derweil „vollgefressen“ mit ihren gut gebräunten, aber starren, dümmlichen Gesichtern auf den Sofas der Talkrunden und wissen nichts anderes, als sich ihrer Selbstgefälligkeit hinzugeben. Das Auseinanderdriften zwischen arm und reich wischen sie mit seltsamen Statistiken beiseite.

 

Politiker der christlichen und liberalen Parteien zeigen ein augenfällig großes Verständnis für die Argumente der Starken. Man müsse die Eigentümer und Aufsichtsräte darüber entscheiden lassen, was ein Vorstand verdiene. Wie selbstverständlich sehen die christlichen und liberalen Politiker darüber hinweg, dass Vorstände sich in der gleichen starken Position befinden wie die Eigentümer oder Aufsichtsräte. Darum gestehen sie sich untereinander die dicksten Brocken des erwirtschafteten Ertrags zu. Dass aber ihre Arbeitnehmer mit Abstand die Hauptleistung für den erwirtschafteten Ertrag erbringen, verdrängen sie geflissentlich gepaart mit einer unverblümten Verlogenheit. Die Starken sehen sich in einem harten Kampf des unternehmerischen Wettbewerbs, der so viel von ihnen abverlangen würde, dass sie die vielen Millionen zu Recht verdienten.

 

Die Verlogenheit der Starken bekommt jedoch dann ein absolut unerträgliches Maß, wenn sie mit teilnahmslosen Mienen behaupten, sie gäben den gering Qualifizierten eine Chance. Sie gäben ihnen angeblich gute Arbeit. Die Arbeitnehmer wären doch selbst an ihrer beruflichen Misere schuld angesichts ihrer geringen Qualifikation und ihres mangelnden Arbeitswillens. Sie versuchen mit solchen Behauptungen, die niedrigen Löhne zu rechtfertigen. In Wirklichkeit handelt es sich meistens gar nicht um gering Qualifizierte oder um Arbeitsunwillige, sondern um viel zu niedrige Löhne. 

 

Über die äußerst unterschiedlichen Startbedingungen im Leben, für die keiner etwas kann, machen sich die Starken keine Gedanken. In ihrer irrealen Welt haben sie die Vorstellung, es gäbe Menschen, die gerne kräftezehrende Arbeit für Hungerlöhne verrichten würden. Die Starken machen auch nichts dagegen, damit die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer nicht mehr so unerträglich sind. Stattdessen sind sie ausschließlich auf ihr eigenes üppiges Auskommen konzentriert und wissen das in Talkrunden so gut zu verklausulieren, dass sie sogar dafür Beifall vom Publikum bekommen. Grotesker kann man sich solche Schauspiele nicht ausmalen.

 

Warum arbeiten Menschen aus den ärmsten Ländern des Fernen Ostens in Fabriken, die eine große Gefahr für sie bedeuten? Warum tun sie das für Hungerlöhne, von denen sie kaum leben können? Warum gibt es Unternehmer im Fernen Osten sowie im reichen Westen, die gierig den größtmöglichen Profit für sich selbst herausschlagen und denen es völlig egal ist, wenn dabei junge Mütter und Kinder massenweise ums Leben kommen oder als überlebende Krüppel in einem noch schlimmeren Elend als schon zuvor enden? Auch junge Männer sind davon betroffen. Sie sind meistens für die hochgefährliche chemische Aufbereitung von Textilien zuständig. Dafür werden zahllose extrem giftige Chemikalien verwendet. Die Textilien müssen anschließend aufwändig gewaschen werden, damit sie bei uns in einem unbedenklichen Zustand ankommen. Normalerweise fangen die jungen Männer im Teenageralter mit dieser hoch gefährlichen Arbeit an. Mit spätestens 30 Jahren werden sie als totale Wracks von der Textilindustrie „ausgespuckt“. Trotzdem zählen sie objektiv noch immer zu den jungen Männern, wenngleich sie nach ihrer kurzen Arbeitskarriere bereits wie alte greise Männer wirken. Nachschub von ihnen gibt es offensichtlich mehr als genug. Nachschub von jungen Frauen und Kindern natürlich auch. Nicht selten werden sie während der Arbeit beschimpft, beleidigt und geschlagen.

 

Wieso können Unternehmer diese grauenvollen Arbeitsbedingungen für ohnehin schon extrem benachteiligte Menschen zulassen? Erinnert dies nicht an längst vergangen geglaubte Feudalzeiten, als die Adeligen hemmungslos auf Kosten der Bevölkerung lebten? Wenn heutzutage Hochzeiten von Königshäusern im öffentlich-rechtlichen Fernsehen feierlich übertragen werden, dann ist damit m. E. die Beschönigung des Asozialen auf die Spitze getrieben. 

 

So ähnlich verhält es sich auch mit dem deutschen TÜV, der den todbringenden Firmen einfach einen Persilschein ausstellt. Ein solcher Persilschein verbessert begreiflicherweise nicht im Geringsten die Arbeitsbedingungen der Arbeiter. Dagegen bringt er dem TÜV sehr üppige Einkünfte für dessen Erstellung, wo dann ausdrücklich die desaströsen Arbeitsbedingungen geleugnet werden. Schon wieder einmal gehen die Arbeiter leer aus. Was ist das für eine Lebenseinstellung, die darauf aufbaut, nur auf Kosten der Schwachen existieren zu können?

 

Völlig unbewegt sagte einmal der allseits hochgelobte Gründer des Apple-Konzerns, keiner werde dazu gezwungen, für ihn zu arbeiten. Die verzweifelten Wanderarbeiter seiner Zulieferfirmen, die nur noch den Selbstmord als Ausweg ihrer Misere ansehen, schienen ihm völlig egal zu sein. An den Fenstern der Fabriken müssen mittlerweile Netze oder Gitter angebracht werden, um die vielen Selbstmorde zu verhindern. Der Gründer des Apple-Konzerns hätte angesichts der grauenvollen Zustände in den Zulieferfirmen nicht deutlicher sein vollständiges Fehlen an Einfühlungsvermögen ausdrücken können. Den jungen Käufern von Apple-Produkten scheint der Einfühlungsmangel ihres bewunderten Idols gegenüber ausgebeuteten fernöstlichen Arbeitern völlig egal zu sein. Sie belagern tagelang die Geschäfte, um als Erste die überteuerten Produkte zu erwerben. Das originelle Design scheint sie unwiderstehlich anzulocken. Auf diese Weise nutzte der Gründer von Apple nicht nur rücksichtslos die Arbeitskraft von jungen Asiaten aus, sondern bereicherte sich auch an seinen jungen gutgläubigen Kunden, indem er ihnen in China auf billigste Weise hergestellte Produkte als etwas ganz Hochwertiges verkaufte. Und als ob das nicht schon genug wäre, schädigt Apple sogar ganze Nationen. Denn die Steuerzahlungspflicht aus den sagenhaften Profiten weiß der Apple-Konzern zielgerecht international zu umgehen. Nichtsdestotrotz verklärt der derzeitige Apple-Chef seine Firma als „Champion der Branchenrechte, Bildung und Umwelt“, welche die „höchsten Ziele der Menschheit verfolgt“. Nichts von dem ist wahr, sondern genau das Gegenteil. Die Wanderarbeiter müssen mindestens 12 Stunden am Tag wie Maschinen arbeiten, meistens bis zu 80 Stunden in der Woche. Im total erschöpften Zustand sind sie zur Schlafenszeit in primitiven Massenunterkünften ohne Fenster eingepfercht. Dass sie jemals im Besitz eines von ihnen selbst hergestellten Apple-Produktes kommen, liegt außerhalb jeder Möglichkeit. Apple lässt die Produkte so montieren, dass sie nicht vom Konsumenten reparierbar sind. Es werden Mechanismen in die Produkte eingebaut, damit sie nur für eine bestimmte Zeit funktionieren (geplante Obsoleszenz}. Deshalb landen sie viel zu früh in den Müll und müssen durch neue ersetzt werden, was die gutgläubigen Kunden auch bedenkenlos tun. Welche Programme auf den Produkten arbeiten, bestimmt allein Apple. Die Verlogenheit des Apple-Chefs könnte nicht größer sein. Die Tageszeitung Bild bezeichnete einmal den Gründer von Apple als eines der größten Genies und als einen der größten Visionäre unserer Zeit. M.E. kann man die Wahrheit nicht stärker verdrehen. Auf diese Weise wird ein extrem asozialer Unternehmer zu einer Lichtgestalt verklärt.

 

Reichtum, wie wir ihn normalerweise kennen, kann nur auf Kosten der Nichtreichen funktionieren. Der Reiche wird  u. a. deswegen reich, weil er andere Menschen findet, die ihre ganze Arbeitskraft für einen miserablen Lohn zur Verfügung stellen. Sie tun es deshalb, weil sie ihre Familien ernähren wollen und weil es in der menschlichen Natur liegt, sich in die Gemeinschaft einzubringen. Und weil diese Menschen in ständiger Angst um ihren Arbeitsplatz sich extrem anstrengen und verausgaben, befinden sie sich in einem nie endenden Stress, der sie nach und nach auszehrt. Sie lassen sich sogar bereitwillig in ihren Arbeitnehmerrechten beschneiden. Die Toleranz der arbeitenden Bevölkerung gegenüber ihren gierigen Arbeitgebern scheint endlos zu sein. Wie wir alle wissen, stranguliert dieses Prinzip schon seit langem die ganze Welt.

 

In Fernseh-Talkrunden bedauern die reichen, selbstgefälligen Unternehmer, Opfer einer Neiddebatte zu sein. Sie heucheln, wie sehr sie sich für das Gemeinwohl einsetzten. Sie würden neue Arbeitsplätze schaffen, doch die Politik stelle ihnen viele Stolpersteine in den Weg. Inwiefern die Politik das tut, darüber bleiben sie selbstverständlich eine nachvollziehbare Erklärung schuldig. Als ob irgendein Unternehmer sich jemals bei seinen Entscheidungen von der Politik beeinflussen ließe, es sei denn, es gibt üppige Subventionen abzuschöpfen. Der Reiche selbst ist in Wirklichkeit der Neider. Er beneidet die noch Reicheren, weil er sich mit diesen misst und dabei feststellt, dass es noch Stärkere gibt als ihn selbst. Er fürchtet den Niedergang seiner Stärke. Darum muss er immer mehr Stärke zeigen und immer reicher werden. 

 

Welche Folgen sich daraus für die Schwachen ergeben, beschreibt Jean Ziegler am Beispiel Guatemalas: „[…] Dort besitzen 1,5 Prozent der zehn Millionen Einwohner gemeinsam mit Konzernen wie dem Bananenmulti Del Monte 65 Prozent des Bodens. Die meisten ursprünglichen Bewohner müssen von steinigen Maisäckern an den Berghängen leben. Im Vorjahr [2004, Anm. MD] waren 92.000 Kinder am Hunger gestorben. Und dann kamen wir mit unserem ganzen Tross weiß-blauer UN-Fahrzeuge an, protokollierten die Vertreibung der Leute, dass sie keine Entschädigung bekommen hatten, all das Elend. Plötzlich sah ich Hoffnung in ihren Augen: Ein Weißer, der uns zuhört und helfen wird! Es war schrecklich. Ich habe Visitenkarten verteilt, die sie vorzeigen sollten im Falle einer Verhaftung. Was für ein Blödsinn. Sie haben die Karten wie einen Talisman auf die Brust gepresst. Da wusste ich doch schon, was passieren würde, wenn ich der UN-Generalversammlung meine Empfehlung vortrage: eine Landreform, die Neuverteilung des Bodens. Mein Vorschlag wurde natürlich abgeschmettert von den westlichen Regierungen, weil deren Diplomaten wie Lakaien der Agrarkonzerne agieren. Und das wusste ich schon in Guatemala.“

 

Deswegen quälte es Jean Ziegler sehr, die ursprüngliche Bevölkerung Guatemalas verraten zu haben. „Ja, ich war es doch, dem diese Bauern vertrauten. Und ich konnte die Hoffnungen nicht erfüllen. Erreicht habe ich nur eins: Jetzt wird wenigstens dank Geldern der Weltbank mit einer ordentlichen Kartierung Guatemalas die Voraussetzung für die Erstellung eines Grundbuchs geschaffen. Wenn sich irgendwann die Machtverhältnisse ändern, ist eine Landreform wenigstens machbar.“ Ich habe Jean Ziegler absichtlich länger sprechen lassen, damit jeder sich ein nachvollziehbares Bild darüber machen kann, in was für einem Elend die ursprünglichen Bewohner Guatemalas leben müssen aufgrund der Raubrittermentalität von international agierenden Großkonzernen. Jean Ziegler hat keinen Verrat begangen. Im Gegenteil, er setzte sich für die Bauern Guatemalas vor der UN-Generalversammlung ein. Doch als einzelner, der sich verantwortungsvoll für die Schwachen einsetzte, konnte er nichts erreichen. Gegen die Mehrheit der Verantwortungslosen, die sich stets auf die Seite der Starken schlägt, war er aussichtslos unterlegen. Allerdings muss dann der Sinn der UN-Generalversammlung hinterfragt werden. Seit dem Jahr 2008 ist Jean Ziegler nicht mehr UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Offenbar verhielt er sich für die Verantwortungslosen zu verantwortungsvoll.

 

Es gibt unzählige weitere Beispiele dafür, wie die Starken auf Kosten der Schwachen leben: Ein junger Mann, der es nicht länger ertragen kann, daran mitzuwirken, wie sein Land heimlich andere Länder ausspioniert, wird daraufhin als Hochverräter weltweit gejagt, nur weil er die hässliche Fratze der Verlogenheit seines Landes enthüllte. Mit einer über allen Maßen beängstigenden Gleichgültigkeit lehnten das deutsche Auswärtige Amt und das deutsche Innenministerium seinen Asylantrag ab: Es lägen die Voraussetzungen für eine Aufnahme nicht vor.

 

Hinsichtlich der Flutkatastrophe in Deutschland sind die vielen freiwilligen Helfer überhaupt nicht verwunderlich, denn es liegt in der menschlichen Natur, anderen in Not geratenen zu helfen. Es müssen allerdings erst besonders schreckliche Ereignisse geschehen, damit die Menschen wieder zu ihren natürlichen Wurzeln finden. Im normalen Alltag verhalten sie sich leider wie funktionierende Roboter. Inzwischen müssen die Geschädigten der Flutkatastrophe jeder für sich allein mit den Versicherungen um ihr Hab und Gut kämpfen.

 

Oft hören wir von abgeschobenen alten Menschen, die ein erbärmliches Leben in Alten- oder Pflegeheimen fristen. Es sind meistens Pflegefälle oder schwer chronisch Erkrankte. Ausgerechnet diejenigen, die die Hilfe durch den Staat wegen ihrer schlechten körperlichen Verfassung am dringendsten benötigen, geben als Erste auf, weil sie das ewig wiederholende Einfordernmüssen ihrer Rechte mürbe macht oder weil sie einfach nicht mehr dazu fähig sind. Sie stoßen auf eiskalte Gleichgültigkeit im angeblich so gut funktionierenden Sozialstaat. Wie sollte denn auch das Einfordern der eigenen Rechte gegenüber „Mangelmutanten“ funktionieren? Bitten Sie einmal einen Stein um Hilfe.

 

Ein ganz krasses Beispiel für das verinnerlichte Machtschema ist die Psychiatrie. Gottgleiche Psychiater drangsalieren Psychiatrieinsassen, indem sie ihnen frei erfundene „Krankheitssymptome“ andichten. Das Skandalöse dabei ist, dass der deutsche Staat einen solchen totalitären Zustand in Psychiatrien zulässt. Viele der angeblich so gut ausgebildeten Psychiater sind in Wirklichkeit Menschen, die mit frei erfundenen „Diagnosen“ ihre latenten Machtgelüste auf bereits daniederliegende Menschen rücksichtslos ausleben. Mitunter werden sozial engagierte Menschen psychiatrisch verfolgt und als querulatorisch etikettiert, nur weil sie auf empörende Ungerechtigkeiten aufmerksam machen.

 

Das gleiche Schema finden wir in der Rechtsprechung. Gottgleiche Richter dürfen ihre kognitiven Dissoziationen zum Schaden vieler Menschen frei ausleben.

 

Ein für uns Deutsche besonders schlimmes Beispiel war der Ausverkauf der ehemaligen DDR zugunsten von gierigen Investoren und Banken. Das hinterließ den Steuerzahlern mindestens 280 Milliarden Euro Schulden und den gierigen Investoren und Banken prall gefüllte Gelbeutel. Aus Treuhand wurde Freihand.

 

Im heute-journal vom 28.5.2013 kam ein völlig desorientierter Professor zu Wort. Er behauptete, die Vorstände könnten sich möglicherweise einer Unterschlagung gegenüber ihrem Unternehmen schuldig machen, falls sie nicht alle erdenkliche Steuerschlupflöcher nutzen würden. Sie müssten den maximalen Gewinn ihres Unternehmens sicherstellen. Dass dadurch die Allgemeinheit unter dem rücksichtslosen Verhalten der Vorstände leiden muss, scheint dem Professor überhaupt nicht in den Sinn zu kommen. 

 

Daimler beschäftigt 5100 Zeitarbeiter bei 167.700 Mitarbeitern, ein unterdurchschnittlicher Anteil von gut drei Prozent, so meint es jedenfalls ein Journalist von einer bekannten deutschen Zeitung. Woher will der Journalist wissen, ob die Zahlen überhaupt stimmen? Und falls sie stimmen, zeigt sich hier, wie Statistiken oft dazu genutzt werden, damit die wahrnehmungsgestörten Menschen sich die Welt schön reden können. Sage und schreibe 5100 Menschen sind als Zeitarbeiter in bloß einer Firma beschäftigt! Aber für die wahrnehmungsgestörten Menschen sind es nur 3 Prozent. Es ließen sich unzählige weitere Beispiele für das verinnerlichte Machtschema zwischen stark und schwach anführen.

 

Im Grunde stellen die oben aufgeführten Fakten das menschliche Zusammenleben völlig auf den Kopf. Die Starken werden hoffiert, ihnen wird alles nachgetragen, sie müssen meistens noch nicht einmal für die erbrachten Dienst- und Sachleistungen zahlen. Sie lassen sich sogar den Weg vom lästigen Schwachen freiräumen, damit sie sich ja keine Gedanken über die eigene Rücksichtslosigkeit machen müssen. Der Starke wird so behandelt, als ob er der Schwache wäre und deshalb so dringend die Hilfe der Anderen bräuchte. Dagegen muss der Schwache, der sich wie ein lästiges Insekt von den Lakaien der Starken wegräumen lässt, immer zahlen, obwohl er es oftmals gar nicht kann. Auf Hilfe und Unterstützung braucht er erst gar nicht hoffen. Der Schwache wird so behandelt, als ob er der Starke wäre und die Hilfe der Anderen nicht bräuchte.

 

Die Ursachen

 

Die oben genannten Fakten machen die schrecklichen gesellschaftlichen Folgen deutlich, wenn gefühlspervertierte Eltern ihre Kinder scheußlich behandeln. Das scheußlich behandelte Kind verzeiht seinen Eltern nicht nur alles, sondern es bringt ihnen auch eine endlose Toleranz entgegen. Darum können je nach Prägung die unterschiedlichsten Persönlichkeiten entstehen. Viel hängt davon ab, mit welcher Wucht die elterliche Gewalt auf das Kind einschlägt und welche Rettungsanker ihm zur Verfügung stehen.

 

Mit Rettungsanker meine ich Menschen, die für das Kind ein Gegengewicht zu seinen gefühlspervertierten Eltern darstellen, indem sie ihm Sympathie, Einfühlungsvermögen, Achtung vor seinen genuinen Bedürfnissen usw. vorleben. Soweit dem Kind Rettungsanker zur Verfügung stehen, kann es zumindest zu einem unauffällig funktionierenden Gesellschaftsmitglied werden. Soweit ihm keine Rettungsanker zur Verfügung stehen, kann es schlimmstenfalls zu einem Mörder mutieren.

 

Fühlende Menschen, die diese Zusammenhänge genau wahrnehmen können, sehen sich oftmals Vorwürfen der Schwarz-Weiß-Malerei oder der starken Vereinfachung ausgesetzt. Es gäbe auch viele Zwischentöne. Doch in diesem Einwand offenbart sich zum einen eine Wahrnehmungsstörung und zum anderen ein Ablenkungsmanöver. Denn einerseits dürfen Tatsachen nicht wahrheitsgemäß erkannt und benannt werden und andererseits soll der Hinweis auf mögliche Zwischentöne von unbequemen Tatsachen ablenken. Doch jeder Zwischenton stellt für sich eine Tatsache dar. Und je mehr man etwas klar verstanden hat, desto einfacher kann man das klar Verstandene erklären. Menschen dagegen, die nichts verstanden haben, aber so tun, als ob sie es täten, drücken sich seltsam kompliziert aus, sodass man sie kaum verstehen kann. Derjenige, der sie kaum versteht, sucht dann meistens die Schuld bei sich selbst. Vor allem dann, wenn er die nicht verstandene Person als Autoritätsperson ansieht. Es läge an den eigenen Bildungsdefiziten, die ihn nicht verstehen lassen würden. Er darf nicht sehen, dass die Autoritätspersonen aufgrund ihres eigenen Unverständnisses sich unverständlich ausdrückt.

 

Außerdem behauptet der wahrnehmungsgestörte Mensch, man müsse diplomatischer mit misshandelnden Eltern umgehen, um eine Verbesserung für das misshandelte Kind bewirken zu können. Er merkt nicht, dass er mit dieser Behauptung wieder in die Rolle des hilflosen, abhängigen Kindes schlüpft, das darauf hofft, seine bösen Eltern verwandelten sich eines Tages in gute. Nicht zuletzt wegen dieser Hoffnung bringt das Kind die endlose Toleranz gegenüber seinen Eltern auf. Wenn es erwachsen ist, zeigt es diese endlose Toleranz gegenüber großen Firmen, die die gleiche Autorität verkörpern wie die eigenen Eltern. 

 

Ein Beispiel dafür ist das bereits oben erwähnte Interview des Tagesspiegels mit Jean Ziegler über die einheimischen  Bauern Guatemalas. Als Jean Ziegler sich darüber empört, dass es genug Nahrung für alle Menschen gebe und dennoch täglich 57000 an Hunger stürben, wirft ihm der Tagesspiegel Übertreibung vor. Es habe auch Hungertote gegeben, bevor die Banken die Rohstoffbörsen eroberten. Jedoch liegt hier der gravierende Unterschied zwischen stark und schwach darin, dass die reichen Banken den hungernden Menschen ganz leicht aus der Todesgefahr helfen könnten. Dafür bräuchte es nur einen Bruchteil von dem, was sie an Geldreserven für die vielen Rechtsstreitigkeiten wegen ihrer dubiosen Machenschaften anhäufen. Sodann äußert der Tagesspiegel, die Spekulation sei allenfalls eine von vielen Ursachen für die Hungertoten. Man müsste völlig blind sein, sähe man in dieser Äußerung nicht ein unerträgliches Ablenkungsmanöver von den wirklichen Schuldigen. Die Tatsachen sehen nämlich so aus: Die von den Rohstoffbörsen festgesetzten Preise machen es den armen einheimischen Menschen unmöglich, die Produkte, die sie aus den Rohstoffen des eigenen Landes gewinnen, zu erwerben. Ausländische Investoren kaufen dann den Grund und Boden zu Schleuderpreisen von den verarmten Einheimischen auf. Sie beabsichtigen, die restlichen, ohnehin schon knappen Bodenschätze auszuplündern. Dadurch verunmöglichen sie es den Einheimischen, von der Bewirtschaftung des Landes, das einmal ihnen gehörte, zu leben. Sie werden entweder vertrieben oder dazu gezwungen, Monokulturen anzulegen. Fatalerweise verdrängen die Monokulturen die anderen notwendigen Lebensmittel und zerstören schleichend die Umwelt. Zudem wird die Umwelt durch Chemikalien massiv geschädigt, die die Einheimischen von den reichen börsennotierten Konzernen wie beispielsweise Monsanto für viel Geld kaufen müssen, damit die Monokulturen überleben können. Die reichen börsennotierten Konzerne beabsichtigen, dass die verarmte einheimische Bevölkerung ausschließlich ihre überteuerten Produkte kauft. All das führt zu immer katastrophaleren Lebensbedingungen. Insofern tritt der Starke immer wieder auf den Schwachen ein, obwohl dieser schon längst daniederliegt. Wenn Jean Ziegler zu Recht die Vorgehensweise der Rohstoffbörsen und Investoren als strukturelle Gewalt verurteilt, dann werfen ihm die wahrnehmungsgestörten Menschen Pauschalierung vor. Jedoch ist der Vorwurf der Pauschalierung in diesem Zusammenhang absolut grotesk, denn es geht um das Leben vieler Millionen Menschen. Mit dem Vorwurf der Pauschalierung sollen dagegen ein paar wenige mächtige, höchst asoziale Investoren in Schutz genommen werden. 

 

Die unendliche Toleranz gegenüber den höchst asozialen Investoren erlernten die wahrnehmungsgestörten Menschen bereits in ihrer frühen Kindheit. Damals mussten sie die elterlichen Misshandlungen mit den abenteuerlichsten Erklärungen beschönigen, um ihr stets gefährdetes Leben in ein erträgliches umzudeuten. Sie mussten ihre allmächtigen Eltern um jeden Preis schonen bis zur bitteren Selbstaufgabe. Trotzdem wurden sie meistens als Nichtsnutze abgestempelt, die unbedingt die elterlichen „Belehrungen“ für ihre Lebenstüchtigkeit bräuchten. Nichtsdestotrotz bettelten sie weiterhin um die Liebe ihrer Eltern. Doch trotz aller Anstrengungen blieb das Betteln vergeblich. Die Rolle der allmächtigen Eltern übernehmen im Erwachsenenalter die mächtigen, höchst asozialen Investoren.

 

Die menschliche Natur basiert nicht auf dem Machtschema zwischen stark und schwach. Das Machtschema lebten uns unsere gefühlspervertierten Eltern vor. Paradoxerweise offenbart uns ausgerechnet die menschliche Natur, wie wir als abhängige Kinder das Vorgelebte unserer gefühlspervertierten Eltern gezwungenermaßen verinnerlichen. Für die Wahrnehmung solcher Zusammenhänge muss allerdings das Wahrnehmungsvermögen ungetrübt sein. Es muss frei von umherirrenden abgespaltenen Gefühlen, frei von aufgezwungenen falschen Botschaften sein: Das Kind vertraut nämlich von Natur aus darauf, dass die Eltern alles richtig machen. Darum übernimmt es ganz automatisch ihre falschen Botschaften und menschenverachtenden Verhaltensweisen.

 

Sobald die wahrnehmungsgestörten Menschen allein die Worte „alles richtig machen“ hören, fühlen sie sich unbewusst an die schimpfenden Eltern erinnert. Der Vorwurf ihrer Eltern, „alles falsch gemacht“ zu haben, obwohl sie gar nichts absichtlich falsch machten, wird im Hier und Heute wieder präsent und blockiert ihr Denkvermögen.

 

Aber warum lässt das Kind die falschen Botschaften zu? Sie widersprechen doch total seiner Natur. Seiner Natur entspricht es aber auch, seinen geliebten Eltern zu gefallen. Und dafür tut es alles Erdenkliche. Es will für sein Wohlergehen gemeinsam mit ihnen in einer glücklichen zwischenmenschlichen Bindung leben. Deshalb kann es noch nicht einmal eine Vorstellung davon haben, dass seine Eltern ihm etwas Böses antun könnten. Jedoch sind die Eltern wegen der eigenen verheerenden Kindheitserfahrungen nicht dazu fähig, ihrem Kind die glückliche zwischenmenschliche Bindung zu ermöglichen. Im Gegenteil, äußert das Kind seine natürlichen Bedürfnisse, fassen die Eltern das häufig als Kampfansage auf. Sie betrachten ihr Kind als egoistisches Wesen, das nur auf sich selbst bezogen wäre. Sollte es auch noch durch Schreien seinen Bedürfnissen Verhör verschaffen, stempeln sie es schnell als Nervensäge ab. Inzwischen haben die Eltern schon längst die Habachtstellung eingenommen. Der unbarmherzige Machtkampf ist im vollen Gang. Dabei sind die Eltern die Guten und das Kind ist der Böse. Die Verdrehung der Tatsachen und die Verlogenheit werden ab jetzt zur puren Selbstverständlichkeit des Lebens. Darum verhalten sich die Eltern völlig entgegengesetzt zu den natürlichen Bedürfnissen ihres Kindes. Dennoch spürt das Kind das falsche Verhalten seiner Eltern mithilfe seiner Emotionen. Doch die Eltern beschönigen ihr falsches Verhalten als fürsorgliches. Sie täten angeblich nur das Beste. Schon wieder spürt das Kind etwas Falsches. Stimmen die Beschönigungen seiner Eltern wirklich? Trotz der Zweifel steht sein Bedürfnis nach einer glücklichen zwischenmenschlichen Bindung mit ihnen an oberster Stelle. Es versucht sich deshalb so zu verhalten, damit es ein liebevolleres Verhalten seìner Eltern erreicht. Sobald dem Kind das glückt, wird es zukünftig stets ähnlich handeln, auch wenn ihm das viel Mühe kostet. Allerdings hat es seitdem oft ein seltsames Gefühl, wenn seine Eltern aufgrund seines braven, angepassten Verhaltens liebevoller zu ihm sind. In diesen Augenblicken ist es nicht mehr es selbst. Es steht neben seiner Lebensspur und fühlt sich irgendwie total unwohl. Wen oder was lieben seine Eltern eigentlich? Gleichzeitig verspürt es eine latente Angst. Es fürchtet, Opfer von erneuten elterlichen Attacken zu werden. Die Welt ist mittlerweile total verdreht, ohne dass das Kind dies begreifen könnte. Der vergebliche Kampf um die elterliche Liebe erweist sich als äußerst zermürbend. Eigentlich müsste die elterliche Liebe allein seinetwegen vorhanden sein. Doch wenn das Kind immer wieder für das Selbstverständliche kämpfen muss, dann besteht sein Leben hauptsächlich aus Kampf und Krampf. Ihm kommt es vor, als müsse es immer wieder einen Berg erklimmen, dessen Gipfel trotz aller Anstrengung unerreichbar ist.

 

Die Einstellung der Eltern zu ihrem Kind spiegelt deren eigenen Kindheitserfahrungen wider. Was sie für ihr Kind empfinden, ist meistens nur Projektion dessen, was ihnen die eigenen Eltern an bösen Eigenschaften angedichtet haben. Nichts von dem ist wahr, sondern genau das Gegenteil. Die angedichteten bösen Eigenschaften sind in Wirklichkeit die von den eigenen Eltern. Wenn die Eltern ihrem Kind noch dazu einreden, sie würden es aus Liebe scheußlich behandeln, dann ist das der Anfang der Verlogenheit und Perversion. Sie verbieten ihm, so zu sein, wie es ursprünglich einmal genuinerweise gewesen ist. Unter diesem Verbot kann es niemals seine wertvollen menschlichen Anlagen weiterentwickeln. Es mutiert zu einem funktionierenden Roboter. Und dieser Roboter verhält sich genauso so böse wie die bösen Eltern. Dem Roboter ist seine Boshaftigkeit natürlich nicht bewusst. Und weil der böse Roboter in einer Welt voll von anderen bösen Robotern lebt, pervertiert die Gesellschaft insgesamt zum Bösen.

 

Doch das Böse ist uns bloß aufgepfropft, weil es nicht zur menschlichen Natur gehört. Das Böse kann in uns nur dann dauerhaft eindringen, wenn wir nicht in Kontakt mit dem Guten kommen. Denn im Gegensatz zum Bösen war das Gute schon immer da. Auch unsere bösen Eltern waren als Kinder einmal gut. Das aufgepfropfte Böse können wir nur durch glückliche zwischenmenschliche Bindungen abstreifen. Die glücklichen zwischenmenschlichen Bindungen bedeuten das Gute. Sie bringen uns das Gute ins Leben zurück. 

 

Das Gefangensein vom Bösen brachte uns nur entsetzliches Übel. Denn das Böse tat uns unaufhörlich weh und wir merkten es noch nicht einmal im Zustand eines funktionierenden Roboters. Wir erkannten das Böse einfach nicht. Deshalb konnte es uns immer wieder wehtun. Es pervertierte dabei das Wertvollste in unserem Leben: unsere genuine Urteilskraft, d. h. unsere Emotionen und Gefühle. Nur durch sie sind wir in der Lage, das Böse zu erkennen und uns von ihm zu befreien. Die genuine Urteilskraft macht uns wieder zu fühlenden Menschen. Dank ihr ist unser Leben befreit vom Joch des Falschen, des Verlogenen, der Lebensverachtung. Wir können wieder frei atmen und spaß- und freudvoll leben. Endlich verbindet uns ein glückliches zwischenmenschliches Miteinander. 

 

Ich sah einmal im Fernsehen ein Experiment mit einem kleinen Jungen mit der Fragestellung, ob der Mensch von Natur aus egoistisch sei. Ein erwachsener Mann verhielt sich im Experiment so, als ob er nicht in der Lage wäre, einen Gegenstand in ein Regal zu legen. Er ließ ihn immer wieder fallen. Ein etwa vierjähriger Junge saß neben seiner Mutter und beobachtete das Geschehen höchst interessiert. Als dem erwachsenen Mann zum dritten Mal nacheinander der Gegenstand hinfiel, stand der kleine Junge auf, hob ihn selbst auf und legte ihn in das Regal. Er lächelte den erwachsenen Mann mitfühlend an. Natürlich war dem kleinen Jungen nicht klar, dass es sich um eine gestellte Szene handelte. Er verhielt sich einfach so, wie es ihm spontan einfiel. Er musste nicht zu einem bestimmten Verhalten aufgefordert werden. Er brauchte keine Belehrungen über Anstand. Seine Mutter saß die ganze Zeit neben ihm. Sie sagte und tat gar nichts, was er hätte nachahmen können. Der freudvolle Umgang im zwischenmenschlichen Kontakt ist uns somit von Natur aus angelegt. Doch fast allen Kindern wurde diese Anlage durch die Eltern abtrainiert. Dem kleinen Jungen im Experiment offenbar nicht. Solche Kinder sind unser Segen und deren Eltern natürlich auch.

 

Wie lange noch können wir damit leben, das erlernte desaströse Machtschema aus der Kindheit ständig zu wiederholen? Wir können es nicht mehr lange. Irgendwann würden wir daran zugrunde gehen. Wir können uns von der ständigen Wiederholung des erlernten menschenverachtenden Machtschemas nur dann befreien, wenn wir das wahre Gesicht unserer Eltern erkennen. Wenn wir in der Lage sind, das wahre Gesicht unserer Eltern zu erkennen und merken, was sie uns tatsächlich antun, erst dann können wir uns Gedanken darüber machen, warum sie so geworden sind, wie sie sind. Die wieder erwachten Gefühle ermöglichen es uns nämlich, in unsere gefühlspervertierten Eltern einzufühlen. Endlich können wir unsere abgespaltenen Gefühle den richtigen Personen zuordnen. Wir sind nicht mehr in der Gefahr, sie gedankenlos auf Sündenböcke abzuladen. Wir durchschauen, dass unsere Eltern durch ihr scheußliches Verhalten in uns die Gefühle der Wut und des Hasses verursachten. Sie zwangen uns sogar, die eigenen Gefühle nicht ernst zu nehmen, sie herunterzuschlucken und so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre. Aber sobald wir klar sehen können und unsere Emotionen und Gefühle ernst nehmen, müssen wir uns nicht mehr anstrengen, genauso stark und rücksichtslos durchs Leben zu schreiten wie unsere gefühlspervertierten Eltern. Wir wollen nie wieder deren Kopien sein. Wir spüren, wie das wiedergewonnene Leben uns instinktiv zu unseren Mitmenschen hinzieht. Spaß und Freude miteinander lustvoll zu leben, machen dann den Sinn des Lebens aus.

 

© Michael Dressel, 7/2013