30.8.2013

Lieber Michael Dressel,

 

Ich hatte ein richtiges Aha-Erlebnis als ich Ihre Antwort auf den Leserbrief vom 30.7. las. Es fügt sich alles zusammen. Auf einmal sind die Zusammenhänge für das menschliche Leid ganz klar sehbar. Das größte Problem scheint wirklich die Perspektive zu sein. Die wissenschaftlich anerkannten Forscher nehmen wirklich meistens die Perspektive der Erwachsenen ein und vergessen dabei ganz, wie sich das kleine, abhängige Kind fühlt. Das hat zur Konsequenz, dass das kleine Kind als Erwachsener angesehen wird, zumindest werden bei ihm die gleichen Maßstäbe angelegt wie beim Erwachsenen. Da die Erwachsenen als Kinder lernen mussten, sich ihren starken Eltern unterordnen zu müssen, kommt es zur gängigen Einstellung gegenüber dem Kind: die Eltern haben Recht und das Kind nicht. Dieses Prinzip wird unter den Erwachsenen weitergelebt. Der Starke der Erwachsenen hat Recht und der Schwache der Erwachsenen nicht. Im Sozialstaat wird so getan, als ob man dem Schwachen gegenüber solidarisch sei. Aber in den öffentlichen Diskussionen hören wir oft davon, was der Schwache alles auf sich nehmen muss, um die „solidarische Hilfe“ zu erhalten. Ihm gegenüber werden die dreistesten Forderungen gestellt. Die Starken werden dagegen hofiert. Und falls sie sich kriminell verhalten, werden ihnen goldene Brücken für eine Straffreiheit gebaut. Ist das nicht das Gegenteil eines Sozialstaates?

 

Herzliche Grüße

J.M.

 

MD: Mich hat es sehr gefreut, Ihren Leserbrief zu lesen. Besser hätte ich die Verlogenheit, die sich auf unsere gesamte Gesellschaft niederschlägt, nicht beschreiben können.