13.6.2014

Schlimmes Vermeidungsverhalten

ich will keine verantwortung übernehmen UND doch will ich selbständig/ autonom/ "mich-selbst-tragend" sein/ selbstverantwortlich sein...

aber der wille, wirklich aktiv zu handeln und verantwortung für mich zu übernehmen sind bei mir nicht groß...

ich suche hilfe und lehne sie gleichzeitig ab.

 

ich kenne die werke von alice miller schon soo lange und kann meine ablehnung von verantwortung trotzdem nicht so wirklich mit meinen eltern in verbindung bringen.

da ist etwas in mir, das wie stolz, dummheit und ablehnung auf einmal daherkommt und auch wenn diese haltung durch die erziehung mitverursacht wurde, muss ich sie doch selber auflösen und den bann der vermeidung brechen...

 

ich hab lange den kontakt mit meiner herkunftsfamilie vermieden, aber es hat mich auch nicht weitergebracht...

 

immer wieder gebe ich meiner tendenz zur selbstzerstörung zuviel raum, auch jetzt...

ich mache es wie ein alkoholiker, der versucht, sich mit alkohol (bei mir ist der alkohol die suche nach hilfe im aussen) sich zu motivieren, dass er aufhören kann zu trinken.

 

selbstanklage ist dann noch der "obertrick" obendrauf, dass ich ja nichts tun/ ändern muss...vermeidung muss einfach sooo toll für mich sein...

 

über die schwelle von stolz und vermeidung kann nur ich allein gehn, diesen schritt kann nur ich tun...

ich dachte ne weile, dass es daran liegt, dass ich nicht genügend vertrauen ins leben habe, seit ich nicht mehr mit der vorstellung von einen liebenden gott "arbeite", aber ich zweifle, ob das wirklich der grund für meine verweigerung ist.

 

meine mutter leitet ihr getragen- sein von ihrem gefühl gott gegenüber ab (gott ist für sie einfach das leben an und für sich) sie läßt sich führen... vom leben, das gott ist... die verantwortung übernehmen heißt in diesem system, dem leben zu folgen und es zu schützen/ zu unterstützen...so hab ich es gelernt.

aber ich habe auch eine tendenz, die quasi kindliche haltung meiner mutter, die sie nie aufgeben hat, als entschuldigung für mein verhalten zu benutzen und das bringt mich nicht weiter...

 

ich trage eine maske der angepasstheit und des erfolges, ich funktioniere im aussen und lenke mich ab...

ich führe, von aussen betrachtet, ein ziemlich normales leben, vielleicht bißchen eigenartig, weil mit 43 in einer viel zu kleinen wohnung und mit wenig beruflicher und privater karriere , obwohl die voraussetzungen dafür gegeben wären (lt. aussage von kunden/ familie/

"freunden")

 

wer kennt sowas???

wer kennt so ein verhalten?

seid ihr auch religiös aufgewachsen???

totale selbstsabotage ohne ausgang....

 

herr dressel, wie haben sie sich befreit? wie haben sie die verletzungen ihrer kindheit erkannt und durchgefühlt? wie haben sie das alles überstanden?

es kommt mir vor wie eine unglaubliche meisterleistung...deswegen schaffen es wohl auch so wenige...

 

ich habe viel über die reaktion alice millers auf den "wunsch" einer leserbriefschreiberin nachgedacht, die sich am liebsten vor die türe alice millers gesetzt hätte...

die reaktion fand ich zuerst auch total erschreckend, aber ich verstehe sie inzwischen besser...denn im verletzten kind stecken zu bleiben, dass einen retter sucht, bringt niemand was...

alice miller fordert den erwachsenen teil ein, der verantwortung übernimmt und die schmerzen des kindes durchfühlt...es kann ja niemand anders für uns übernehmen, wenn wir uns befreien wollen...

 

gruß

 

h.

 

ps. lieber herr dressel, falls ihnen der brief zum veröffentlichen ungeeignet erscheint, bitte einfach nicht machen.

ich hab nicht unbedingt das gefühl, dass genau ausdrückt, worum es mir wirklich geht. ich müsste konkreter über meine probleme berichten...aber ich will sie ja selber lösen, und will keine tipps, im sinne von: mach es so oder so...es geht mir darum, wie man die grundsätzliche verweigerung von erwachsen sein auflöst.

vielen dank fürs lesen und die website! kennen sie vielleicht therapeuten, die sich wirklich selbst befreit haben?

MD: Ich war beim ersten Lesen Ihres Briefes total verwirrt und konnte nichts mit ihm anfangen. So ähnlich muss es auch Ihnen beim Schreiben ergangen sein. Sonst hätten Sie sich klarer ausdrücken und Ihre Probleme genauer beschreiben können. Es muss Sie offenbar total aus der Spur geworfen haben, soweit Sie „Hilfe“ erfahren haben, die in Wirklichkeit gar keine gewesen ist oder „verantwortliches Handeln“, das auch keines gewesen ist. Das liegt aber nicht in Ihrer Verantwortung, sondern in der Ihrer Eltern.

 

Wenn Sie eine Verbindung mit Ihren Eltern in Bezug auf Ihre Probleme hätten herstellen können, dann würden Sie nicht so verwirrt sein. Mit den Worten Stolz, Dummheit und Ablehnung meinen Sie sicherlich die Vorwürfe, die Sie von Ihren Eltern ständig über sich ergehen lassen mussten. Was bedeutet dann Vermeidungshaltung in diesem Zusammenhang? Ist sie nicht geradezu folgerichtig aufgrund der scheußlichen Erlebnisse? Insofern ist es nur zu verständlich, dass Sie den Kontakt zu ihren Eltern meiden. Allerdings schafft das die bereits erlittenen Probleme nicht aus der Welt.

 

Vermutlich waren Sie schon als Kind dazu verdonnert, mit den zwangsweise auferlegten Problemen allein fertig werden zu müssen. Dieses Prinzip setzt sich heute noch fort, indem Sie wiederholt sagen, Sie müssten die Probleme selbst auflösen. Sie können sich gar nicht vorstellen, von jemandem im Arm genommen und darin unterstützt zu werden, sich von den zwangsweise auferlegten Problemen zu befreien. Ihre Eltern haben so etwas nie getan. Es hätte ja sonst im krassen Widerspruch zu ihrem tatsächlichen Verhalten gestanden.

 

Die Selbstanklage ist tatsächlich ein „Obertrick“, denn sie dient dazu, die Eltern ja nicht zu beschuldigen. Seitdem Sie Zweifel von einem liebenden Gott haben, sind Sie erst recht verwirrt. Sie zweifeln deshalb an Ihrer eigenen Wahrnehmung, weil Sie höchstwahrscheinlich von Ihren Eltern (Gott) lernten, deren böses Verhalten sei Liebe. Zudem hat die Führung Gottes die unausgesprochene Bedeutung, sich der elterlichen Autorität zu unterwerfen. Erst durch die Unterwerfung sind Sie das brave, tüchtige Kind. Dagegen verweigern Sie sich zu Recht!

 

Was meinen Sie mit „kindlicher Haltung“ Ihrer Mutter? Auch Ihre Mutter hatte als Kind das absolute Vertrauen zu den eigenen Eltern (Gott). Doch Ihre Mutter durfte das wirkliche Gesicht der eigenen Eltern nicht sehen, wie auch Sie jetzt nicht. Deshalb verstehen Sie Gottvertrauen als totale Selbstsabotage ohne Ausgang. Trotzdem scheint in Ihnen die Hoffnung verankert zu sein, Ihre Mutter würde sich eines Tages doch noch zum Besseren ändern. Diese Hoffnung ist vergleichbar mit dem Bedürfnis Ihrer Mutter, Gott unbedingt folgen zu müssen. Mit ihrer Folgsamkeit meint sie, Gott zu schützen. Auf Sie bezogen hieße das, Sie müssten als Kleinkind Ihre Mutter schützen. Hat das etwas mit Mutterliebe zu tun? Nein, Sie hätten sich natürlich eine liebende Mutter gewünscht.        


Ich habe mich nicht von selbstschädigenden Prozessen befreien müssen. Ich hatte das Glück, dass in meiner Familie das unumstößliche Schlageverbot galt. Darum blieb mir das Bedrohungsszenario erspart. Ich kann deswegen die Dinge so hinnehmen, wie sie sind und muss sie nicht auf eine bestimmte Weise uminterpretieren. Sie können es auch, sobald Sie zu Ihren authentischen Gefühlen finden und das wirkliche Gesicht Ihrer Eltern erkennen.

 

Kann man einem Kind vorwerfen, einen Retter finden zu wollen? Nein, denn jedes Kind wünscht sich eine beglückende Beziehung zu seinen Eltern. Ist sie nicht vorhanden, so bleibt dem Kind nur die Hoffnung, entweder seine Eltern änderten sich zum Guten oder es käme jemand anderes, der seine Not wahrnimmt, es tröstet und es in eine schönere Welt bringt. Doch diese Hoffnung bleibt in beiden Fällen meistens unerfüllt. Natürlich braucht das Kind einen Retter aus seiner scheußlichen Lage. Das würde sowohl dem Retter als auch dem Kind etwas bringen. Auch dem Kind gebliebenen Erwachsenen bringt das etwas, denn er lernt plötzlich die Welt aus einer ganz anderen Perspektive kennen: aus einer lebernsbejahenderen Perspektive.

 

Es ist eigentlich nur zu verständlich, dass Sie nicht erwachsen werden wollen, wenn man bedenkt, wie Sie die Erwachsenen (Ihre Eltern) von Kind an erlebt haben. Sie wollen vor allem keine Verantwortung übernehmen. Dies ist ebenso nur zu verständlich angesichts der Erfahrung, was Ihre Eltern unter Verantwortung verstanden und noch immer verstehen. Verantwortung verwirklicht sich im Zusammenleben mit dem Anderen und beruht deswegen immer auf Gegenseitigkeit. Selbstverantwortung ist ein hoch abstrakter Begriff. Er bedeutet allenfalls, dass man mit seinem eigenen Handeln gegenüber anderen Menschen im Reinen ist, da es dem Leben zugewandt ist.

 

Ich kenne leider keine geeigneten Therapeuten. Lesen Sie hierzu die Rubrik Therapie.