9.3.14

Hallo Herr Dressel,

Ich habe das Gefühl, gar nicht das Recht zu haben, hier zu schreiben, da ich ja "nicht so arg" missbraucht wurde, nicht vergewaltigt und manche Dinge einfach noch nicht in meinem Bewusstsein sind.
Ich bin in einer sexuell stark aufgeladenen Umgebung aufgewachsen, mein Vater hat mir immer auf die Brüste gestarrt, auch heute noch, meine Hand auf seinen Schw* gelegt, um mich "zu beruhigen". Das war allerdings ganz kurz, auf dem Gang eines Hotels und im angezogenen Zustand, meine mutter meinte, er tat es um mich aufzuheitern. Sie ging neben mir. Meine Eltern sind sehr angesehene Leute und ich gelte als das schwarze Schaf der Familie, weil ich den elterlichen Betrieb nicht übernehmen will. Ich kann mich auch erinnern, dass mein Babysitter sich mit mir einen Porno angeschaut hat- sie war neugierig damals, ich war ca. 4 jahre alt und halt auch "dabei", mir war sauschlecht kann ich mich erinnern. Dort wohnte meine Halbschwester und ihr damaliger Freund war ca. 40 und hat mir zum Abschied einen Zungenkuss gegeben. Ich kann mich auch erinnern, dass ich mit meinem Vater mal in der Badewanne gelegen bin und irgendwie dürfte ich ihn berührt haben. ich weiß aber nicht mehr was genau passiert ist und ich glaube, das war das einzige mal. Meine mutter meinte erst wieder, meine einzige absicht war es, sie hier zu vertreiben (aus dem haus) aber sie war zuerst da. Ich hörte mein ganzes leben lang, dass ich faul, schlampig, "so gescheit" bin und in meinem leben noch nie etwas geleistet habe. Beide streiten ab, soetwas jemals zu mir gesagt zu haben, ich wäre verrückt und solle zum arzt, mir etwas zur beruhigung verschreiben lassen.
wie auch immer, ich bin jetzt 27, habe seit etwa 12 jahren bulimie, war auch drei jahre lang in therapie. seit ich 14 bin hab ich regelmäßig alkohol getrunken- seit einem jahr kaum noch. so gut wie nie. meine Essstörung kam trotzdem wieder.
und als ich in der therapie ein paar lichte momente hatte, und meiner thera erzählte, dass ich zum zweiten mal den geburtstag meiner mutter vergessen habe, meinte sie nur, dass das auch eine leistung wäre. als ich mal den hass aufkommen spürte, und ihr vom "gerechten zorn" meiner eltern erzählte hat sie das gleich abgewürgt. Leider kann ich mich nicht mehr an ihre reaktion erinnern, es war allerdings sowas wie ich muss den zorn loslassen ... so in die richtung, verschleiert und nett gesagt.
meine beziehungen waren bisher ein einziges desaster und die letzte war sehr stark von sadismus verachtung, unverständnis und kontrolle, zwang geprägt. ich habe klammere mich an freunde, die ich dann auch zu überfordern beginne, kommt mir so vor, und habe immer angst, lästig zu sein. nach außen wirke ich stark, selbstbewusst, voller selbstvertrauen. was teilweise auch stimmt.- nur sabotiere ich mich selbst. ich gönne mir mein leben nicht, weil ich immer noch das gefühl habe, ich muss heim, meinen eltern helfen und den betrieb übernehmen (einzelkind, das ich bin). obwohl mein vater meinte, er verkauft, nachdem ich meine hilfe angeboten habe. ich habe nie ein faires angebot bekommen nur verwirrung und manipulation was dazu führt, dass ich mich selber aus der bahn werfe so oft. ich habe trotzdem viel erreicht, war erfolgreich im beruf und werde bald auch wieder in einer neuen firma zu arbeiten beginnen. trotzdem falle ich in alte muster zurück, rauche unmäßig, fresse, kotze (aber mit abständen) fühle mich wertlos, hasse mich immer wieder mal und schwebe zwischen minderwertigkeitsgefühlen und "größenwahnsinn". mich wundert nur, dass ich trotzdem so oft auf die füße falle und sich mir neue chancen eröffnen. also muss ich wohl noch irgendwo lebenswillen haben oder verbeisse ich mich zu sehr? ich musste letztes jahr ein paar monate bei meinen eltern wohnen und habe nach der trennung von meinem freund ernsthafte selbstmordgedanken gehabt, die sich, als ich bei meinen eltern war, sehr akut auswuchsen und ich mir das zeug auch besorgt habe. im letzten moment habe ich hoffnung geschöpft- bin einer alten dame auf dem heimweg begegnet und sie hat mir zuversicht geschenkt. das vergangene jahr und mein bisheriges leben war angefüllt mit missbrauch, verwirrungen und lügen. ich selbst hab das auch gemacht, sehr oft ... das tut mir heute wahnsinnig leid und ich habe mich bei den betreffenden personen sehr oft entschuldigt- das war speziell ein exfreund von mir, den ich betrogen habe ... auch nach drei jahren plagt mich meine damalige blindheit noch immer. er hat mir jedoch verziehen, und ist wieder glücklich in einer beziehung.
das wäre ich auch gerne, ich hab jedoch große angst dass ich mir wieder jemanden aussuche, der mir weh tut- dass ich jemanden weh tue, kommt heute nur noch selten vor, weil ich eben aufgewacht bin. jedoch bedürftig bin ich immer noch und möchte das nicht mehr. nicht mehr so heftig, denn ich weiß, ich bin erwachsen und bekomme das nicht mehr, was mir in meiner kindheit zugestanden hätte. daher isolier ich mich noch mehr.
eigentlich könnte ich zufrieden sein, denn ich bin weg von "zuhause" und will auch keinen kontakt mehr. trotzdem ist dieses gefühl, allein zu sein, keine verwandten zu haben oft unerträglich. ich habe zwar freunde, mittlerweile auch welche, die mich verstehen, aber etliche tun dies eben nicht. habe dadurch auch viele freundschaften aufgegeben, weil ich mich wie damals von meine mutter ausnutzen ließ. nach meiner letzten beziehung kann ich aber nicht mehr. ich kann kaum noch etwas geben.
Isolation, weggesperrt werden, beschimpft werden, dann in zu hören- ich liebe dich so, du bist mein ein und alles, wir halten zusammen ... das sind die worte meiner mutter. du bist mir schon lange egal- die worte meines vaters. du versaust uns alles ... brocken kommen gerade hoch, aber wenn ich das jetzt nicht abschicke so wies mir gerade in den sinn kommt, traue ich mich vielleicht nicht mehr ...

bevor ich aber weiterschreibe und der text ausufert, möchte ich hier einen punkt machen vorerst. ich hoffe, dass ich hier leute finde, die mich verstehen. in der therapie wurden meine wenigen anspielungen auf missbrauch nicht so ernst genommen, kommt mir vor. eher mit der antwort- "da hat man auch ihre grenzen überschritten, auch wenn es nicht so schlimm war" quittiert. vielleicht kommt es mir auch deshalb nicht so schlimm vor ... habe die bücher von alice miller verschlungen regelrecht, weil ich mich beim lesen daheim fühlte. hab auch versucht, neue therapeuten zu kontaktieren und gleich zu anfang gesagt, welche fehler meine letzte therapeutin gemacht hat und was ich brauche- nämlich begleitung und verständnis, viel empathie und keine bewertung. einige reagierten darauf mit "ich bin auch nicht perfekt, ihre therapeutin wollte sie vielleicht provozieren und sie zu einer antwort ermutigen, haben sie denn nichts gesagt? wenn sie mit meiner arbeitsweise nicht zufrieden sind, kann ich nichts machen ..." sympatischere therapeuten meinten eher- "sie müssen nicht alles erzählen aus der kindheit, wenns zu weh tut, das ist nicht nötig".
ich denke, dass mir eine therapie, die mir persönlich nichts bringt, zu teuer ist. ich habe auch bei diesen gesprächen betont, dass ich meine ehem. therapeutin nicht anklagen will, sondern dass es meine absicht ist, mit jemanden zusammenzuarbeiten, der mir hilft und der keine angst hat.
Gruß
N.K.

MD: Ihr Leserbrief verdeutlicht, wie weit verbreitet der sexuelle Missbrauch an Kindern durch die eigenen Eltern noch immer ist, und wie Eltern den begangenen Missbrauch schamlos leugnen. Sie beschreiben sehr nachvollziehbar die „sexuell aufgeladene Umgebung“ Ihrer Kindheit. Auf perfide Weise verdrehte Ihre Mutter die Tatsachen, indem sie behauptete, es sei Ihre Absicht gewesen, sie aus dem Hause zu vertreiben, obwohl es Ihr Vater war, der Sie dazu zwang, ihn am Geschlechtsteil zu berühren. Ihre Wahrnehmung auf das Geschehene wurde sabotiert mit Sprüchen wie etwa: Sie seien verrückt und sollten zum Arzt gehen, um sich etwas zur Beruhigung verschreiben zu lassen. Ihre Eltern würden sie angeblich lieben, obwohl Sie sich ständig anhören mussten, dass sie für nichts taugten. Genau das waren die perfiden Lügen Ihrer Mutter. Sie beschreiben sodann sehr nachvollziehbar die Folgeerscheinungen dieser verheerenden Erfahrungen: exzessiven Alkoholkonsum;  Bulimie; das unerträgliche Gefühl, allein und isoliert zu sein; die untauglichen Hilfen von unverständigen Psychologen usw. All diese Abscheulichkeiten mussten Sie in Ihrem Leben durchmachen.

 

Zum Glück haben Sie in Alice Miller einen Menschen gefunden, bei dem Sie sich „daheim fühlen“. Zum ersten Mal können Sie sich in Ihre Not einfühlen und deswegen Ihre Wahrnehmungen ernst nehmen. Mit Hilfe Ihrer befreiten Gefühle können sie nun die richtigen Entscheidungen für ein zufriedeneres Leben treffen. Sie werden Menschen finden, mit denen Sie eine andere Welt erleben. Eine Welt, in der Sie sich gut aufgehoben fühlen.